Aus „Die Glocke“ vom 30.10.2001

Kirchengeschichte in der Zehntscheune IX
Aus Liebe zu den Protestanten, aus Pflicht zu den Katholiken

Herzebrock-Clarholz (gl). Ihren 150. Geburtstag feiert die Gemeinde Herzebrock-Clarholz und beruft sich dabei auf die staatliche Zusammenfügung der Ortsteile durch Dekret vom 15. August 1851. Die diesjährige Vortragsreihe „Kirchengeschichte in der Zehntscheune“ knüpfte thematisch an das Ortsjubiläum an, um mit parallelen Erörterungen den Weg der katholischen Kirche in der preußischen Westprovinz Rheinland und Westfalen nachzuzeichnen. Dabei wurden auch Entwicklungen im Protestantismus dieser Zeit mit berücksichtigt.

Im nunmehr neunten Seminar des Freundeskreises Propstei Clarholz e. V. konnten Prof. Dr. Johannes Meier und Prof. Dr. Werner Freitag als Veranstalter und Moderatoren wissenschaftliche Referate zu einer der spannendsten Perioden der westfälischen Geschichte aufbieten.

„Der Staat sorgt für die protestantische Kirche aus Liebe, für die katholische aus Pflicht“: Mit diesen Worten des Preußenkönigs hatte Prof. Meier einleitend das Konfliktpotential gekennzeichnet, das in der preußischen Kulturpolitik von der Mitte des 19. Jahrhunderts an beschlossen lag.

Dem münsterischen Kirchenhistoriker Dr. Claus Arnold war es aufgetragen, die geistigen Entwicklungslinien des Katholizismus jener Zeit darzustellen. Dabei nannte er Spätaufklärung, Romantik und Ultramontanismus als geistige Haupttendenzen einer Epoche, die in der Verhaftung des Kölner Erzbischofs Clemens August von Droste-Vischering ebenso den Konflikt mit dem Staat heraufbeschwor wie die Massenbeteiligung beim Heilig-Rock-Jahr 1885. Dr. Arnolds Thesen zur Reichsgründung, zum Kulturkampf und zum Streit im katholischen Milieu leiteten über zu den folgenden Vorträgen, die der globalen Übersicht lokale Aspekte des damaligen politisch-kirchlichen Geschehens hinzufügten.

„Wandernd zwischen den Konfessionen“ – so Prof. Meier – stellte Katrin Miller am Beispiel Gütersloh das Phänomen der Erweckungsbewegung dar. Die Mitarbeiterin an der neuen Gütersloher Ortsgeschichte glossierte den pietistischen Eifer Johann Heinrich Volkenings mit seinen verbalen Ausfällen und der Ablehnung jeglicher weltlicher Freuden. Sie –würdigte aber seine Bewegung auch in ihren aus missionarischem Bewusstsein entwickelten Denkansätzen.

Der Bonner Religionswissenschaftler Dr. Hermann Josef Scheidgen listete zwischen Kolpingfamilie und Arbeiterverein, Bonifatius- und Volksverein die Vielzahl katholischer Gründungen im 19. Jahrhundert auf, die teilweise bis heute ihre gemeinschaftliche Arbeit entfalten.

Ursachen und Verlauf des Kulturkampfes, den Bismarcks regideGesetzgebung nach 1871 ausgelöst hatte, schildert Studienrat Dr. Otto Bauer (Paderborn). Dabei würdigte er vor allem das mannhafte Eintreten des Paderborner Bekennerbischofs Conrad Martin gegen staatliche Dominanz. Ein Dokumentarfilm zeigte zwischen Wiedenbrücker Kreuztracht und dem Bau des Billerbecker Doms Symbole des katholischen Widerstands gegen die preußische Staatsgewalt.

Für eine eher unruhige Fermate in den Untersuchungen eines aufregenden Jahrhunderts sorgte abschließend die Betheler Archivarin Kerstin Stockhecke. Sie porträtierte ambivalent die mehr zum dichtenden Schreiben als zur Hausfrau und Mutter geborenen Pfarrersfrau Marie Schmalenbach aus Mennighüffen (1835 bis 1924).

An die Vorträge schlossen sich jeweils lebhafte Diskussion der interessierten Teilnehmer an. Sie hoben die Vortragsreihe in den Rang eines anspruchsvollen Seminars, das auf eine Fortsetzung im Jahr 2002 hoffen darf.